Die hubschrauberführende Leitstelle: Wie sieht die optimale Zusammenarbeit mit einem Luftrettungsmittel aus?
In Deutschland werden Rettungshubschrauber (RTH) für den Einsatz in der lokalen bzw. überregionalen Notfallrettung von einer Leitstelle koordiniert und alarmiert. Im Fachjargon spricht man von einer hubschrauberführenden Leitstelle. In der Regel ist die Leitstelle mit der Führung beauftragt, in deren Zuständigkeitsbereich der RTH stationiert ist. Der Einsatzradius eines RTH beträgt ca. 60 bis 70 km um den Luftrettungsstandort und breitet sich meist auf mehrere Rettungsdienstbereiche aus, weshalb der hubschrauberführenden Leitstelle im Zusammenspiel mit dem Luftrettungsmittel und den anfordernden Leitstellen besondere Aufgaben mit speziellen Anforderungen zukommen. Am Beispiel der Integrierten Leitstelle Mittelbaden mit Sitz in Rastatt (Baden-Württemberg), die als hubschrauberführende Leitstelle für den RTH „Christoph 43“ (DRF-Luftrettung, Station Karlsruhe) fungiert, soll aufgezeigt werden, wie die Anforderungen zur Führung und Disposition eines RTH umgesetzt werden können.
Alarmierung
Die Alarmierung eines RTH für Primäreinsätze in der Notfallrettung erfolgt immer durch die hubschrauberführende Leitstelle. Unabhängig davon, ob der Einsatzort im lokalen oder überregionalen Rettungsdienstbereich liegt. Je nach örtlichen Gegebenheiten geschieht das über Funkmeldeempfänger, ggf. zusätzlich über SMS, E-Mail oder Alarmfax. Verfügt das Einsatzleitsystem (ELS) der hubschrauberführenden Leitstelle über eine Rescuetrack-Schnittstelle der Firma Convexis, kann der RTH zusätzlich über weitere Applikationen (Wachendisplay/Smartphone- App) redundant alarmiert werden.
20 Luftrettungsstationen der DRF-Luftrettung sind aktuell durch eine Rescuetrack-Schnittstelle mit einem Wachendisplay sowie mit der App für Smartphones ausgestattet und darüber an die jeweilige hubschrauberführende Leitstelle angebunden. Ein wesentlicher Vorteil bei der Nutzung einer solchen Schnittstelle besteht darin, dass bei Alarmierung über die Schnittstelle u.a. automatisiert georeferenzierte Einsatzdaten aus dem Einsatzleitsystem der hubschrauberführenden Leitstelle an das Navigationsgerät des RTH gesendet werden. Diese Daten kann die RTH-Besatzung in wenigen Arbeitsschritten am Navigationsgerät übernehmen. Das spart im Einsatzfall wertvolle Zeit, sodass sich die Besatzung mit voller Aufmerksamkeit auf den Anlass- und Startvorgang oder im Falle einer Luftalarmierung auf die Luftraumüberwachung konzentrieren kann.
Georeferenzierte Einsatzdaten
Für die gezielte Navigation zur Einsatzstelle benötigen Luftrettungsmittel – analog zu bodengebundenen Rettungsmitteln – georeferenzierte Einsatzdaten. Durch die Übernahme der von der hubschrauberfüh- renden Leitstelle mittels Rescuetrack-Schnittstelle gesendeten Einsatzdaten in das Navigationsgerät wer- den der RTH-Besatzung die Flugstrecke (Start/Ziel), der Kurs in Grad sowie die reine Flugzeit in Minuten und Ankunftsuhrzeit angezeigt.
Über eine Zusatzfunktion im Navigationsgerät kann sich die Besatzung die genaue Einsatzörtlichkeit anzeigen lassen, um sich vorab einen Überblick der Umgebung des Einsatzorts zu verschaffen (Lage inner- orts, Randlage, Waldgebiet etc.). Darüber hinaus werden (je nach Programmierung der Schnittstelle) zusätzliche Informationen und Besonderheiten zum Einsatz bzw. Meldebild übertragen. Analog dazu wer- den bei Alarmierung die identischen Informationen über das Wachendisplay und für den Fall, dass sich der RTH außerhalb des eigenen Rettungsdienstbereichs befindet, über die App übermittelt.
Im Einsatzleitsystem der hubschrauberführenden Leitstelle sind die Straßen- und Ortsdaten des eigenen Zuständigkeitsbereichs immer georeferenziert, Straßen- und Ortsdaten anderer Rettungsdienstbereiche meist nur im angrenzenden Gebiet zu Nachbarbereichen. Da ein RTH regelmäßig überregional zum Einsatz kommt, sollte die Datenversorgung im Einsatzleitsystem der hubschrauberführenden Leitstelle diese Besonderheit berücksichtigen. Ist das nicht der Fall, werden keine oder nur ungenaue Straßen- und Ortsdaten an den RTH gesendet. Im nachstehenden Beispiel (Abb. 4 und 5) ist lediglich der Ort im ELS der hubschrauberführenden Leitstelle georeferenziert. Dadurch wird der Ortsmittelpunkt als Koordinate übermittelt, was die Gefahr einer Einsatzverzögerung durch Annahme der falschen Einsatzstelle birgt. Auswirkung hat dieser Umstand insbesondere dann, wenn noch keine Rettungsmittel vor Ort sind und der RTH ersteintreffend ist. Vor allem der Aspekt, wer den „ungenauen“ Anflug bemerkt und zu welchem Zeitpunkt, muss hierbei berücksichtigt werden.
Aufgrund der Bedeutung von georeferenzierten Einsatzdaten für ein schnelles Eintreffen und auch, um Fehlerquellen wie oben beschrieben auszuschließen, sollte die überregionale Datenversorgung den Disponenten der hubschrauberführenden Leitstelle sowie der RTH-Besatzung bekannt sein. Nicht im ELS eingepflegte Straßen- und Ortsdaten angrenzender Rettungsdienstbereiche sollten idealerweise geo- referenziert im ELS hinterlegt sein oder im Einsatzfall standardmäßig über den Webclient (Rescuetrack) an den RTH gesendet werden. Eine direkte Übermittlung von georeferenzierten Daten aus der anfordernden Leitstelle an den RTH ist technisch bereits heute möglich. Die Zukunft muss allerdings die Vernetzung von Leitstellen sein, um Einsatzdaten, unabhängig davon welches ELS verwendet wird, schnell und effizient auszutauschen.
In der ILS Mittelbaden sind für die Disposition des RTH „Christoph 43“ Straßen- und Ortsdaten anderer Rettungsdienstbereiche georeferenziert im Einsatzleitsystem eingepflegt. Die erforderlichen Daten wurden über die Landesämter für Geoinformation in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz angefordert und von den Administratoren der Leitstelle im ELS als Excel-Import eingespielt und bearbeitet. Im Zuge der Datenpflege wurde zusätzlich zu jedem Ort die zuständige Leitstelle mit BOS-Funkkanal hinterlegt. Diese Information wird, neben den üblichen Einsatzdaten, der RTH-Besatzung automatisiert bei Alarmierung über die digitalen Funkmeldeempfänger übermittelt, sodass die RTH-Besatzung die Leitstellenzuständigkeit nicht mehr erfragen muss.
Disposition Luftrettung
Die Disposition der Luftrettung erfolgt gemäß Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg sowie nach den Dispositionsgrundsätzen für Integrierte Leitstellen des Landes Baden-Württemberg.
Die ILS Mittelbaden disponiert alle Einsatzmittel der Notfallrettung inklusive Luftrettung und Krankentransport ausschließlich GPS- gestützt durch Georouting. Diese Art der dynamschen Disposition hilft dem Disponenten bei der Entscheidungsfindung im Vergleich zu einer statischen Disposition bzw. Alarm- und Ausrückeordnung signifikant, damit immer das nächstgelegene/geeignete Rettungsmittel zum Einsatzort entsendet wird.
Für Luftrettungsmittel ist im Einsatzleitsystem eine sogenannte Rüstzeit hinterlegt (Alarmierung, Ausrückzeit und Startvorgang bis Takeoff des RTH), die im berechneten Dispositionsvorschlag inkludiert ist. Im Falle des RTH „Christoph 43“ beträgt die Rüstzeit vier Minuten, für nicht hubschrauberführende Leitstellen kann eine Rüstzeit von sechs Minuten empfohlen werden. Der Zeitberechnung liegen zudem eine Reisegeschwindigkeit von 240 km/h und die Kilometer-Entfernung zum Einsatzort in Luftlinie zugrunde. Für die Disposition von Luftrettungsmitteln ist das Geo-Routing auf einen Radius von 150 km ein- gestellt, um auch umliegende Luftrettungsmittel im Dispositionsvorschlag anzeigen zu lassen.
Der georeferenzierte Dispositionsvorschlag ist für die Disponenten der ILS Mittelbaden verbindlich. In begründeten Einzelfällen kann jedoch davon abgewichen werden. Am Beispiel der Luftrettung kann das ein minimaler Zeitvorteil gegenüber einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) bei mutmaßlich schwierigen Landebedingungen innerorts oder im städtischen Bereich laut GIS-Karte und fehlender Tracerdiagnose sein.
Weiterhin kann der Disponent zur Berücksichtigung der maximal zulässigen Flugdienstzeit (insbesondere in den Sommermonaten) je nach Meldebild minimale Abweichungen im Geo-Vorschlag gegenüber dem nächstgelegenen NEF vornehmen, um eine frühzeitige Erreichung der Flugdienstzeit für die Cockpit-Crew (2. DVLuftBO) zu verhindern.
In dem Beispiel (Abb. 7) befindet sich die Einsatzstelle in einem topografisch schwierigen Gebiet (Schwarzenbachtalsperre, Nordschwarzwald im Landkreis Rastatt), in dem die Einhaltung der Hilfsfrist in den seltensten Fällen möglich ist. Als „schnellster Notarzt“ wird der RTH „Christoph 43“ vom System ermittelt, der sich zum Zeitpunkt des Routings im „Status 2“ an seinem Standort befindet. Die errechnete Eintreffzeit des RTH beträgt 9:26 Minuten, während das zweite NA-System im Geo-Vorschlag (NEF 1/82-1) die Einsatzstelle nach 21:19 Minuten erreichen würde. Die gleiche Zeit gilt für den nächstgelegenen RTW 1/83-1, der sich zum Zeitpunkt des Routings ebenfalls im „Status 2“ auf der Rettungswache befindet.
Aufgrund der teilweise schwierigen Topografie (Nordschwarzwald) und Klinikstrukturen im Ret- tungsdienstbereich Mittelbaden (kein Krankenhaus der Maximalversorgung) wird der RTH im Sinne der „Next-Best-Strategie“ häufig nach Meldebild disponiert, um die Prähospitalzeit bei Tracerdiagnosen ein- zuhalten und den Patienten aufgrund seiner Erkrankung/Verletzung (luftgebunden) in die geeignete Klinik zu transportieren.
Darüber hinaus wird der taktische Mehrwert des Luftrettungsmittels z.B. bei Verkehrsunfällen auf der Autobahn (keine Stauprobleme) oder bei Bade- und Tauchunfällen in fließenden und stehenden Gewässern zur Personensuche aus der Luft häufig genutzt.
Spezielle Telefonnummer für RTH-Anforderung
Um die telefonische Anforderung des RTH „Christoph 43“ für einen Primäreinsatz von einer externen Leitstelle zügig und zielgerichtet zu bearbeiten, wurde eine separate Rufnummer in der Telefonanlage der ILS Mittelbaden geschaltet, die ausschließlich für die Anforderung des RTH zur Verfügung steht und allen Leitstellen in Baden-Württemberg sowie Rheinland- Pfalz und teilweise in Hessen bekannt ist. Die Leitung wird analog der Notrufnummer 112 priorisiert von den Disponenten bearbeitet und gewährleistet so eine zügige Annahme, Bearbeitung und Verkürzung der Dispositionszeit.
Schulung der Disponenten
Die Disposition eines Luftrettungsmittels und das Zusammenspiel zwischen Leitstelle und RTH erfordert grundlegende Kenntnisse aus dem Bereich der Luftrettung. Alle Disponenten der ILS Mittelbaden sind auf die Besonderheiten der Luftrettung durch Piloten und HEMS TC der DRF-Luftrettung geschult worden.
Neben medizinisch-einsatztaktischen Aspekten wurden Themen wie z.B. Meteorologie, Navigation, Luftrecht, Flugdienstzeiten, Kommunikation im Einsatz und sicherheitsrelevante Themen vermittelt. Weiterhin werden jährlich RTH-Hospitationen mit den Disponenten durchgeführt, um den Wissenstransfer aufrechtzuerhalten und den persönlichen Austausch zwischen den Disponenten und Mitarbeitern des RTH zu pflegen.
Fazit
Die Führung und Disposition eines Luftrettungsmittels ist sicherlich keine Magie. Dennoch sind die Anfor- derungen an eine hubschrauberführende Leitstelle vielfältig und erfordern für eine reibungslose Zusam- menarbeit, Verständnis und Hintergrundwissen. Eine erweiterte georeferenzierte Datenversorgung im Einsatzleitsystem ist aufgrund des Einsatzradius eines RTH ebenso essenziell wie ein regelmäßiger Aus- tausch zwischen Leitstelle und Luftrettungsmittel, um die Zusammenarbeit stetig zu reflektieren und ggf. zu optimieren.
Quelle: BOS-LEITSTELLE AKTUELL - 4 · 2019